Samstag, 10. November 2012

Ein besonderer Zwischenstopp, ein herzlich-warmes Wiedersehen und die erste Woche in Rio

Rio de Janeiro, 2. – 10. November 2012

Nach wochenlangem Verkaufen und Verschenken fast aller meiner Besitztümer, deren Reste ich in einer Garage eingelagert habe – und jetzt fühle ich mich sehr viel freier - , einem lustigen und schönen Abschiedskaffeeklatsch im Harvey’s, einer ganz fixen Wohnungsübergabe, die gar nicht wehtat und einigen Einzel- oder Zweier-Abschieds-Lunch-Dinner-Kaffee-Treffen kam ich nun also am letzten Freitag nach Rio de Janeiro zurück.
Ich hatte einen etwa 6-stündigen Aufenthalt in Lissabon und wurde dort um 9.00h morgens von Anthony am Flughafen abgeholt und nach einem wunderbaren Strandspaziergang am „Praia do Guincho“ in Cascais, einem Lunch mit Meeresblick und einer Hausbesichtigung pünktlich zum Weiterflug nach Rio wieder „abgegeben“.
Mit einer Stunde Verspätung landete der Flieger nach einem ruhigen Flug in GIG (Flughafen Rio de Janeiro Antônio Carlos Jobim, auch: Galeão). Meine Koffer waren die letzten, die über’s Gepäckband kamen, ein bisschen nervös bin ich nach einer Stunde Warten schon geworden… Aber der bestellte Fahrer unserer Organisation hat geduldig gewartet und mich dann gegen 2.00h morgens in Santa Teresa, einem der schönsten Stadtteile von Rio, in meinem vorläufigen Zuhause abgeliefert. Dort nahm mich Ailton in Empfang und schleppte netterweise meine 40 kg Gepäck zwei Etagen herunter in mein Zimmer. Ailton und seine Frau Marion wohnen auch hier im Haus und ich kenne beide schon von meinem letzten Aufenthalt.
Samstag machte ich die notwendigen Besorgungen, um möglichst entspannt in die erste Woche gehen zu können: Grundnahrungsmittel einkaufen und eine lokale Mobiltelefonnummer. Abends hatte ich eine Verabredung in der Bar do Gomes mit Felipe, dem Chef unserer Organisation „Iko Poran“. Für die, die es noch nicht wissen: Iko Poran ist eine NGO, die sich darauf spezialisiert hat, internationale Volunteers auf kleinere Organisationen in den Armenvierteln zu verteilen und meine Aufgabe hier ist es, mich um die gesamte Koordination und Organisation der Abläufe sowie die Volunteers selbst zu kümmern. Mehr Info zur Organisation unter www.ikoporan.org
Sonntag gab es dann gleich die erste Orientierungssession mit den neu angekommenen Volunteers, die ich zusammen mit meiner neuen, wunderbaren Kollegin Viviana leitete. Jeder bekommt bei der Ankunft ein Welcome Package mit Rio Infos und einigen wichtigen Sicherheitsregeln, wie man sich hier bewegt, wie man auftritt, was mitnehmen, wohin nicht gehen usw. sowie Verhaltensregeln, die das Zusammenleben mit ca. 18-25 Personen verschiedener Nationalitäten und Kulturen in einem Haus erleichtern. Das Haus wird geleitet von Marie, einer netten deutschen Kollegin, die schon seit etwa 8 Jahren in Rio lebt.
Danach traf ich Antje zum Kaffee im Cafecito, dem einzigen Café in Santa Teresa, das einen halbwegs ordentlichen Cappuccino macht. Antje ist eine gute Freundin schon seit 2010 und mein direkter Kontakt zum deutschen Konsulat.
Meine Kollegin Vivi ist Chilenin und kümmert sich hauptsächlich um die Platzierung der Volunteers (Vols), d. h., sie begleitet jeden Einzelnen beim ersten Mal zum Projekt und bespricht den Einsatz mit den Projektkoordinatoren vor Ort. Da gehe ich teilweise auch mit, da ich zum einen einige neue Projekte noch kennen lernen muss und mich bei einigen, die ich schon kenne, zurück melde. So waren wir also die ersten beiden Tage der Woche hauptsächlich auf der Straße zu Fuß, mit Bus und Metro unterwegs, was natürlich sehr anstrengend ist, insbesondere, wenn man auch noch in der Anpassungsphase steckt mit Klimawechsel, Hitze, Zeitverschiebung und den kleinen alltäglichen Hindernissen hier und da. Montag Vormittag machten wir einen Rundgang mit den neuen Vols im Zentrum: Bushaltestellen, Bank, Geld abheben und umtauschen, Passkopien machen und ein Kilorestaurant besuchen. Nachmittags waren wir dann im Ballet de Santa Teresa, jene Organisation, bei der ich 2010 als Volunteer Rhythmische Sportgymnastik und Ballett unterrichtet habe. Das war natürlich superschön, dort einige alte FreundInnen wiederzusehen. Vielleicht werde ich auch ab Januar wieder dort unterrichten.
Dienstag lernte ich ein neues Projekt kennen in der Favela „Salgueiro“, einer inzwischen befriedeten Gemeinde. Dort platzierten wir zwei neue Vols in der Kinderkrippe und sie werden dort etwa zwei Wochen bei der Betreuung von 2-4-jährigen Kindern helfen. Außerdem gibt es dort einen Gemeindegarten, wo die Einwohner lernen können, wie man selber einen Obst- und Gemüsegarten anlegt. Am Nachmittag trafen wir uns in unserem Büro mit Karen, die sich um einen Teil der Administration kümmert, um zu besprechen, wie wir drei uns in den nächsten Monaten organisieren. Ich bin sehr froh, dass ich zwei so liebe und hilfreiche Kolleginnen habe, die mir den Neueinstieg hier wirklich sehr erleichtern. Am Ende dieses Nachmittags war ich total platt, müde, konnte kein portugiesisch mehr verstehen geschweige denn sprechen und habe mich um 20.00h ins Bett gelegt und bin erst am nächsten Morgen um 7.30h wieder aufgewacht… Das war nötig.
Mittwoch habe ich mich dann erstmal im Büro orientiert und eingearbeitet, alles ganz in Ruhe, niemand hetzt hier und glücklicherweise ist im Moment auch eher „Low Season“. Unser Chef Felipe hält sich weitestgehend raus, da er genug zu tun hat mit seinem neuen Restaurant, und vertraut uns voll und mischt sich nur bei schwierigen oder speziellen Angelegenheiten ein, wenn wir ihn bitten.
Donnerstag war morgens Büro und dann mittags Platzierung eines Vols in der Organisation movimento de mulheres parque horacio in der Favela Benfica, einer besonders armen, bedürftigen, noch nicht befriedeten Gemeinde. Dort ist das wichtigste Thema Gesundheitsberatung, Aufklärung und Schutz vor Geschlechtskrankheiten und AIDS, hier mehr Info und ein Film: http://ikoporan.org/de/child-mulheres-parque-horacio
Freitags arbeiten wir eigentlich nur das nötigste, da wir ja auch oft am Wochenende unterwegs sind, Orientierungssessions sonntags und regelmäßige Besuche im Haus der Volunteers abends an mehreren Tagen machen. Außerdem muss ich 24/7 in Bereitschaft sein für die Vols, falls es Probleme gibt, da verteilt man die anderen Tage entsprechend und nimmt sich mal einen Nachmittag frei. Gestern traf ich dann am Abend auch eine alte Freundin wieder, Danielle, bei der ich in 2010 auch fast zwei Monate gewohnt habe.
Mein Problemchen der Woche:
Ein neues Zimmer finden. Ich wohne im Zimmer im Hause einer ganz lieben Freundin, Thaís. Aber da sie Hippy Klamotten, Schuhe und Accessoires auf Märkten verkauft, Basare veranstaltet, sind hier im Hause überall, einschließlich in meinem bzw. ihrem Zimmer, Sachen gelagert und habe ich irgendwie das Gefühl, in einem Klamottenladen zu wohnen… Eigentlich schlafe ich deshalb auch nur im Zimmer, wo ich kaum Platz für meine Sachen habe und daher die ganze Woche, bis Thaís am Donnerstag von einer Reise zurück kam, nichts auspacken konnte. Ansonsten ist es ein schönes Haus mit supernetten und herzlichen Mitbewohnern direkt an der Escadaria Selarón, der berühmten mit tausenden von bunten Fliesen belegten Treppe (http://en.wikipedia.org/wiki/Escadaria_Selar%C3%B3n), die genau in unsere Straße mündet. Aber ich habe mir nun ein Zimmer gesucht, in dem ich mich auch aufhalten, wohnen, leben und lieben kann. Das ist etwas teurer, aber auch bei einer Freundin in Santa Teresa, bei der ich schon in 2010 wohnte. Dort ziehe ich am 1. Dezember ein.
Mir geht es gut, auch, wenn ich nach dieser ersten Woche noch sehr müde bin. Ich bin glücklich, wieder hier zu sein und diese Arbeit mit diesen Menschen in dieser Umgebung machen zu können. Rio kann sehr anstrengend sein, manchmal saugt es Dir alle Energie aus, immer gibt es kleine Hindernisse zu überwinden, aber man liebt es, weil es auch so divers, so bunt, so fröhlich und rundherum so wunderschön ist.
Heute, am Samstag, ist es bewölkt und regnerisch und Thaís und ich sitzen in unserer Küche mit Ausblick auf Lapa, der Stadteil unterhalb von Santa Teresa. Gleich werde ich ein paar Einkäufe für die nächste Woche machen und Thaís auf ihrem heutigen Tauschbasar in Lapa besuchen und vielleicht auch endlich nach Ipanema zum Strand fahren…
1000 beijinhos e um grande abraço do Rio de Janeiro!

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