Montag, 17. Dezember 2012

Neue Projekte, meine Kids und ich allein...

Zuckerhut im Morgennebel
 Vier Wochen sind dahin gerast, ich kann es kaum glauben. Es ist ja schon fast Weihnachten, wovon ich hier nur gelegentlich etwas mitbekomme, hier ein Kunststoffweihnachtsbaum, da ein Jingle Bells Geklimper oder die blinkende Weihnachtsbeleuchtung in den umliegenden Gemeinden, die ich von meinem Fenster aus sehe.
Ich glaube, ich habe es noch nicht erwähnt, aber inzwischen wird nicht mehr generell die Bezeichnung „Favela“ für die Armenviertel insbesondere an den Hügeln Rio’s benutzt, sondern von der „Communidade“ (= Gemeinde, Kommune) gesprochen. Das ist nun die offiziell politisch korrekte Bezeichnung, da mit dem Begriff „Favela“ meist direkt mit Armut, Kriminalität und Drogen verbunden wird. Die positive Entwicklung, die damit erreicht werden soll, wird durch den neutralen Begriff „Gemeinde“ gestützt. Wie positiv das alles unterm Strich aussieht, ist von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich, je nachdem, wer dort tatsächlich das Sagen hat und wie stark die Korruption noch greift, entwickelt sich alles zum Besten der Bewohner oder auch nicht. 
In den letzten Wochen waren meine Kollegin Viviana und ich viel bei unseren Projekten zu Besuch, weil wir zum einen alle zwei Wochen neue Volunteers bekommen, die wir an ihrem ersten Tag dorthin begleiten müssen und zum anderen, weil es ein paar neue Projekte gibt, bei denen wir demnächst auch Volunteers platzieren werden.
Eines dieser neuen Projekte bzw. neue Partnerorganisation ist Nova Chance („Neue Chance“) und hat eine erstaunlich gute Infrastruktur in zwei verschiedenen Gemeinden: Tuiutí und Mangueira. Mangueira hat auch eine der größten und besten Sambaschulen Rio’s und liegt im nördlichen Rio, wie die meisten unserer Partner. Es gibt jeweils ein Gebäude mit verschiedenen Räumen, die teilweise schon gut bestückt sind, z. B. als Klassenraum für Englischunterricht, ein „Sportraum“ für Kampfsport oder Yoga, ein Raum mit gespendeten gut erhaltenen Computern für Infomatikunterricht, sogar ein Arztzimmer mit einigen Untersuchungsplätzen und einen Physiotherapieraum mit Grundausstattung und nicht zuletzt einen kleinen Beton-Fußballplatz in Tuiutí und ein Fußballfeld auf Lehm etwa in Trainingsplatzgröße in Mangueira. Was fehlt, sind Volontäre, die hier helfen. Deshalb hat uns jemand mit dem wunderbaren Ely, Gründer und Direktor dieser Organisation, in Kontakt gebracht. Nach einem ersten Meeting sind Vivi und ich also dorthin gefahren, um festzustellen, dass es hier vor allem großen Bedarf an freiwilligen Helfern gibt: Ärzte, Medizinstudenten, Fußballtrainer, Physiotherapeuten, Lehrer für Englisch, Computernutzung, Rückengymnastik, Yoga, Kampfsport, Musik usw., und auch Handwerker werden benötigt, da es noch einiges zu installieren gibt. Falls also jemand Interesse hat, mal hier als Volontär ein paar Wochen oder Monate zu verbringen, gerne bei mir melden.
Eine unserer sehr bedürftigen Organisationen ist IASESPE in Bonsucesso, der unteren Siedlung der großen Gemeinde „Complexo do Alemao“, was einige von Euch vielleicht schon mal gehört haben. Hier gab es im November 2010 schlimme Kämpfe, als Polizei- und Militäreinheiten die Gemeinde stürmten und letztendlich „befriedeten“. Seit über einem Jahr gibt es hier nun eine Seilbahn, die über insgesamt sechs Stationen Menschen, Einwohner sowie auch Touristen, in Gondeln rauf und runter „schweben“ lässt. In der unteren Siedlung also, Bonsucesso, ist unsere Partnerorganisation IASESPE. Hier haben wir zur Zeit drei Volontäre platziert, die eine wunderbare Arbeit insbesondere hinsichtlich der Weiterentwicklung der Organisation im Bereich Spendenaufrufe, Aktivitätenangebot und allgemeine Unterstützung leisten. Einer der Volontäre hat einen tollen Film gemacht, an dem noch einige Volontäre beteiligt waren, sehr emotional, aber auch sehr nah an der Realität. Da der Film Musik enthält, kann man ihn leider aus GEMA-rechtlichen Gründen in Deutschland nicht sehen, es sei denn, ihr wisst wie man sich ein „Schein-Konto“ für die USA auf Youtube einrichtet, versuchen könnt Ihr es, hier ist der Link zum Film: https://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=ic_9UznkO1k
Dies sind wirklich tolle Volunteers, die sich sehr proaktiv in ihr Projekt integrieren und einbringen konnten. Das ist nicht immer der Fall. Viele kommen hier mit sehr romantischen Vorstellungen her, wie z. B., dass man glücklich lächelnd zwischen unglücklichen und armen, aber lächelnden, dunkelhäutigen Kindern sitzt und klar gestellte Aufgaben hat. Das ist hier nicht so, denn einige der Organisationen sind teilweise noch unstrukturiert und nicht gut organisiert und es braucht wirklich große und viel Eigeninitiative, um wirklich zu helfen. Volunteers, die nur für zwei oder drei Wochen herkommen (und oft auch eigentlich eher Ferien machen wollen), werden deshalb eher auf die Projekte platziert, wo die Aufgaben klarer gestellt werden, wie z. B. in Kinderkrippen mit regelmäßigem Tagesablauf oder Sportunterricht mit regelmäßigen Einheiten.
Ich betreue im Moment 18 Volunteers, die meisten sind ruhig, verhalten sich unseren Regeln entsprechend gut, der eine oder die andere hat mal dies oder jenes zu zetern oder tanzt mit irgendwas aus der Reihe, einige wenige sind schwierig, jammern auf hohem Niveau über langsame Internetverbindungen oder kalte Duschen (alles alltägliche Problemchen für ganz viele Menschen hier…). Ich mache diesen Job gern, einfach, weil ich gerne für die Kids da bin, manchmal nerven sie unglaublich, aber im Grunde hab ich alle gern und da ich keine eigenen Kinder habe, fühlt es sich oft so an, als hätte ich hier auf einmal ein ganzes Haus voll davon. Und manchmal möchte ich am Ende einer Woche am liebsten keins von ihnen mehr sehen und hören… An den ersten drei Januarwochenenden kommen etwa 35 neue Volunteers an, meine Kollegin Vivi ist bis zum 13. Januar noch im Urlaub, das wird ein Riesenspaß… und alles hört auf mein Kommando! Mal sehen, wie das so wird…
Wenn ich frei habe am Wochenende, gehe ich eigentlich am liebsten an den Strand in Ipanema oder neuerdings auch einen weiter in Leblon. Das tut echt gut, so ein Tag am Meer, da lade ich mich auf mit ganz viel guter neuer Energie und genieße einfach zu „sein“ und freue mich darüber, dass ich hier bin.
Abends gehe ich mal mit Freunden zu lustigen Straßenmusiken, immer irgendwas Samba-artiges, denn es geht ja schon auf Karneval zu, oder einfach gemütlich essen oder auch nur ein Bierchen, Kino auch immer mal wieder oder ich falle auch manchmal einfach schon um 21 oder 22h total erschöpft ins Bett. Letzteres passiert oft nach langen Tagen und Wegen mit Bussen und zu Fuß zu Projekten, das ist bei der Hitze, im Moment immer zwischen 30 und 35 Grad superanstrengend. Man ist von Santa Teresa aus zwischen 1 und 2 Stunden zu den Projekten unterwegs, wenn man nicht im „Formel1-Bus“ durchgerüttelt wird, läuft man längere Strecken. Und ich staune und mache immer noch das „Connie-mit-großen-überraschten-Augen-Gesicht“, wenn die Busfahrer so schnell um alle Ecken und Kurven heizen, dass ich uns manchmal schon vor die nächste Hauswand oder Leitplanken ticken sehe, aber es geht immer gut.
Letzte Woche hatten wir dann auch noch ein Filmteam von unserem größten internationalen Partner hier. Die haben Aufnahmen für einen Trailer über unsere Volunteer Programme gemacht und mussten an zwei komplett durchorganisierten Tagen vier oder fünf Projekte besuchen, 5 oder 6 Volunteers interviewen und die Volunteers in ihrem alltäglichen Leben filmen. Das war sehr spannend, besonders am zweiten Tag, als meine wunderbar durchdachte Organisation durch verschiedene kleine Ausfälle bzw. Aussetzer von involvierten Personen bei den Projekten zum Teil durcheinander geschmissen wurde. Aber das ist ja hier normal und damit muss man immer rechnen, man macht einfach weiter, da und so wie es geht. Letztendlich hat alles geklappt, wir haben ein dickes Lob für unsere Vorbereitung und auch allgemein für unsere Arbeit mit den Volunteers bekommen vom Chef der Partnerorganisation. Am ersten Abend gab es eine schöne Strandparty mit allen zusammen in Ipanema zum Sonnenuntergang und am zweiten Abend war ich beim gemeinsamen Abendessen so platt, dass ich nach dem ersten Bier dachte, mich hat ein Holzhammer getroffen – ich konnte und wollte nicht mal mehr sprechen, alles war auf null.
Nach einem anstrengenden Rest der Woche habe ich es dann gestern, am Samstag, ganz, aber ganz langsam angehen lassen: ausschlafen, Frühstück, lesen im Lieblingscafé (mein Harvey’s Ersatz J ), Lavradio Arts&Crafts Markt in Lapa, danach Thais‘ Bazar in meinem ersten Zuhause, Massage, neue Menschen getroffen und nach einem Bier schon wieder fast im Tiefschlaf.
Ach ja, umgezogen bin ich ja auch vor zwei Wochen. Jetzt wohne ich weiter oben in Santa Teresa, dort, wo ich schon einmal in 2010 wohnte. Ich habe ein schönes Zimmer, nur leider keine Terrasse mehr mit Pool, weil es in einem Apartment ist. Die Vermieterin ist auch eine Freundin, hat inzwischen zwei Kinder und geht jetzt selbst für 6 Wochen etwa zu ihrer Familie in Porto Alegre. Ab morgen wohne ich dann hier mit zwei Jungs, ein deutscher Kollege aus MG und ein Amerikaner aus Greenville, alle ganz nett und ordentlich – bisher. Aber ich habe so im Gefühl, dass ich noch einmal umziehen werde…
In der vergangenen Woche waren Freunde aus der Frankfurter Sangha hier in Rio. Zwei Freundinnen im Urlaub und ein Freund, der Flugbegleiter bei LH ist und herfliegen durfte mit zwei Tagen Aufenthalt. Das war sehr schön, mal mit Freunden in der vertrauten Sprache zu sprechen, vertraute Umarmungen und gute Energien aufzuladen. Wir waren alle zusammen abendessen in Ipanema und ich habe das sehr genossen und war sehr dankbar für diese Momente. Immer wieder werde ich gefragt, ob ich hier nicht manchmal „einsam“ bin. Ja, das kommt vor, aber es ist eher ein Gefühl, also nicht als reale Einsamkeit, sondern von plötzlichem Alleinsein überrascht, das z. B. nach einigen langen Tagen mit vielen Menschen aufkommt, wenn ich plötzlich am Samstag allein bin, keine Verabredung habe und mich erstmal allein ohne ständige Kommunikation neu aufladen muss und natürlich auch möchte. Aber nach einer Stunde mit mir allein sind diese Schleier verschwunden und ich genieße die freie Zeit, um mich mal nur um mich zu kümmern. Nutella hilft auch J - aber leider hat mein LH-Freund meine 1kg-Nutella-Bestellung vergessen, also muss ich das teure Nutella hier kaufen und gut rationieren für die „ich-will-aufn-Arm-Stunden“, wenn ich ein warmes Nutellaschnittchen brauche.
Heute gibt es nun auch ein paar Bildchen im Blog. Wenn Ihr mal etwas spezielles wissen möchtet, fragt mich einfach. Ansonsten schreibe ich einfach immer das zusammen, was mir einfällt und erzählenswert erscheint. Und ich freue mich auch sehr über News von Euch, gerne mal sprechen über Skype.
In einer Woche ist Weihnachten und ich hoffe, es geht Euch allen gut und Ihr verbringt die Feiertage mit Euren Liebsten. Habt eine schöne Zeit, wo auch immer Ihr seid, ich denke an Euch und schicke meine allerbesten Wünschen und ein paar ganz schön warme Grüße und Küsse aus Rio!!!
Englischunterricht mit Volunteers

Ipanema Sonnenuntergang

Strandparty Ipanema




Meine Freundin Thaís

Victor zeigt uns seine Aussicht auf das Maracana Stadion

Victor trägt sein kaputtes Fahrrad :( (ich weiß nicht, wie man
es dreht)

nochmal Maracana Stadion



Fußballfeld in Tuiutí

Kaffeepause

Das Haus, das ich kaufen und renovieren würde...

Sonntag, 18. November 2012

Eine „Schlechtwetterwoche“ und ein nächtlicher Überraschungsgast

Rio de Janeiro, 11.-18. November 2012


Die zweite Woche war relativ unspektakulär.
Nachdem ich letzten Sonntag ein paar schöne Sonnenstunden am Strand von Leme (das ist der vor Copacabana und weniger touristisch) mit ein paar Freundinnen verbringen konnte, hat es dann ab Montag leider fast die ganze Woche geregnet oder zumindest war es immer bewölkt und „nur 21 Grad“. Nicht, dass ich mich jetzt hier über das Wetter auslassen oder gar beschweren möchte, aber solches Wetter schlägt allen hier oft sehr auf’s Gemüt, es fühlt sich irgendwie schwer an und man wartet jeden Tag auf die Sonne, also etwa wie wir Deutschland fast das ganze Jahr. Hier ist es ja wenigstens nicht wirklich kalt. Außerdem schleppt man immer einen Regenschirm mit, den man auch braucht. Mit Flipflops ist dann auch nix mehr… Und wenn es dann regnet, regnet es richtig richtig und wenn man eine längere Strecke gehen muss, dann wird man auch richtig nass von unten über die Schuhe bis über die Beine und von oben vom tropfenden triefenden Regenschirm… so kam ich dann am Donnerstag von einem langen Ausflug zu einem unserer Projekte auf der Ilha do Governador zurück. Oft läuft auf den Straßen das Wasser in Strömen und es ist sehr schmutzig, besonders dort, wo viel Verkehr ist, und die Busse kommen schwerer voran. Man muss da einfach durch und je nach dem, was an dem Tag noch alles schon schief lief, nörgelt, heult oder flucht man eben ein bisschen. Beschweren tut sich aber keiner, Regen gehört hier dazu.
Umso schöner ist es dann, wenn wie heute die Sonne wieder strahlt, die klare erfrischte Luft wieder alle nach draußen lockt. Dann stehen und sitzen die Menschen draußen vor den Bars und Restaurants, essen, trinken und schwätzen den ganzen Tag bis in den Abend. Die Straßen- und Strandverkäufer freuen sich wieder über bessere Geschäfte und die Touristen rennen los und holen alle wichtigen und schönen Ausflüge nach, wie ein Besuch an der Christus Statue oder auf dem Zuckerhut, am Strand, Santa Teresa und vieles mehr…
Letzte Woche habe ich auch einen Freund aus Frankfurt getroffen, der genau diese eine „Schlecht-Wetter-Woche“ hier war, das ist natürlich einfach Pech, aber so was kann in Rio immer passieren. Jan, ich hoffe, es hat Dir trotzdem gefallen und Du kommst mal wieder und dann ist sicher das Wetter schön!!!
Diese Woche war ich außerdem mit einer deutschen Freundin im Kino „Cine Santa“, ein sehr hübsches Programmkino hier in Santa Teresa, wo auch manchmal gute deutsche Filme laufen, wie z. B. „Soulkitchen“. Diesmal war es ein kubanischer Film „Siete días en La Habana“, cooler Film, Daniel Brühl spielt auch mit J http://www.youtube.com/watch?v=iGFE0ZQEX2Q
Gestern, am Samstag, war ich bei einer Pizza Party zu Hause bei meiner Kollegin Vivi, wo ihr italienischer Freund regelmäßig so ein Pizza Event macht: „Pizza do Bruno“. Es gibt ab etwa 17.00h ungefähr alle 30-40 Minuten 1 von 7 verschiedenen Pizzas, die man sich mit etwa 10 Leuten teilt, dazwischen wird Musik gehört, gemacht, getanzt und gequatscht und getrunken. Das sind immer schöne Gelegenheiten, um meinen Bekannten- und Freundeskreis hier zu erweitern, meisten sind auch immer andere Nationalitäten vertreten, diesmal Australien, Italien, Chile, Mexico und Frankreich. Sprachlich auch eine Heruasforderung… Am Ende hat Vivi uns noch in ein richtig cooles Spiel „hinein gequatscht“. Hier heißt es „Lobisomem“ (Werwolf) und hier ist die deutsche Erklärung: http://de.wikipedia.org/wiki/Die_Werw%C3%B6lfe_von_D%C3%BCsterwald Ich hatte zwar nach der ersten Erklärung in Portugiesisch nur die Hälfte verstanden, habe aber dann die zwei ersten von drei Runden gewonnen J Und es hat richtig Spaß gemacht und war gut, um mein Portugiesisch zu verbessern.
Überraschung der Woche: Am Donnerstag Abend, als ich um 23.00h nach Hause kam, lag bereits jemand in meinem Bett. Auf meinem Kissen hatte es sich eine Straßenkatze gemütlich gemacht und fühlte sich offensichtlich sehr von mir gestört, als ich das Licht an machte… Naja, die Katze wohnt seit sie hier in der Straße geboren wurde so halb in diesem Haus, ist aber eigentlich eine Straßenkatze. Natürlich musste ich das armen Ding raus in den Regen schicken, weil ich ja allergisch bin L, und sie tat mir schon leid, wie sie dann da so allein auf der Terrasse saß, aber ich bin sicher, sie hat hier irgendwo ein anderes trockenes Plätzchen gefunden.
Wie ich schon eingangs sagte, diese Woche war relativ unspektakulär, aber ich wollte Euch einfach ein bisschen auch über das ganz normale Leben hier berichten. Mir geht es gut, ich bin dankbar für all das, was ich hier schönes erlebe und tun darf und schaffe die kleinen und großen Hindernisse und sonstiges, was stört, aus dem Weg oder mache das Beste aus jeder Situation. Jeden Tag fühle ich mich heimischer, habe einen ganz normalen Arbeitsrhythmus, nur manchmal bin ich etwas verwirrt, weil mir das Jahreszeitengefühl hier komplett abhanden kommt. Plötzlich fällt mir ein, dass wir ja November haben und bald Dezember und Weihnachten, wenn ich an einem weihnachtlich geschmückten Geschäft oder Lokal vorbei komme.
Ich bin angekommen in Brasil und schicke Euch meine herzlichsten Grüße und schöne warme Gedanken ins kalte Deutschland. Bilder gibt's auch bald. 
1000 Beijinhos!!!

Samstag, 10. November 2012

Ein besonderer Zwischenstopp, ein herzlich-warmes Wiedersehen und die erste Woche in Rio

Rio de Janeiro, 2. – 10. November 2012

Nach wochenlangem Verkaufen und Verschenken fast aller meiner Besitztümer, deren Reste ich in einer Garage eingelagert habe – und jetzt fühle ich mich sehr viel freier - , einem lustigen und schönen Abschiedskaffeeklatsch im Harvey’s, einer ganz fixen Wohnungsübergabe, die gar nicht wehtat und einigen Einzel- oder Zweier-Abschieds-Lunch-Dinner-Kaffee-Treffen kam ich nun also am letzten Freitag nach Rio de Janeiro zurück.
Ich hatte einen etwa 6-stündigen Aufenthalt in Lissabon und wurde dort um 9.00h morgens von Anthony am Flughafen abgeholt und nach einem wunderbaren Strandspaziergang am „Praia do Guincho“ in Cascais, einem Lunch mit Meeresblick und einer Hausbesichtigung pünktlich zum Weiterflug nach Rio wieder „abgegeben“.
Mit einer Stunde Verspätung landete der Flieger nach einem ruhigen Flug in GIG (Flughafen Rio de Janeiro Antônio Carlos Jobim, auch: Galeão). Meine Koffer waren die letzten, die über’s Gepäckband kamen, ein bisschen nervös bin ich nach einer Stunde Warten schon geworden… Aber der bestellte Fahrer unserer Organisation hat geduldig gewartet und mich dann gegen 2.00h morgens in Santa Teresa, einem der schönsten Stadtteile von Rio, in meinem vorläufigen Zuhause abgeliefert. Dort nahm mich Ailton in Empfang und schleppte netterweise meine 40 kg Gepäck zwei Etagen herunter in mein Zimmer. Ailton und seine Frau Marion wohnen auch hier im Haus und ich kenne beide schon von meinem letzten Aufenthalt.
Samstag machte ich die notwendigen Besorgungen, um möglichst entspannt in die erste Woche gehen zu können: Grundnahrungsmittel einkaufen und eine lokale Mobiltelefonnummer. Abends hatte ich eine Verabredung in der Bar do Gomes mit Felipe, dem Chef unserer Organisation „Iko Poran“. Für die, die es noch nicht wissen: Iko Poran ist eine NGO, die sich darauf spezialisiert hat, internationale Volunteers auf kleinere Organisationen in den Armenvierteln zu verteilen und meine Aufgabe hier ist es, mich um die gesamte Koordination und Organisation der Abläufe sowie die Volunteers selbst zu kümmern. Mehr Info zur Organisation unter www.ikoporan.org
Sonntag gab es dann gleich die erste Orientierungssession mit den neu angekommenen Volunteers, die ich zusammen mit meiner neuen, wunderbaren Kollegin Viviana leitete. Jeder bekommt bei der Ankunft ein Welcome Package mit Rio Infos und einigen wichtigen Sicherheitsregeln, wie man sich hier bewegt, wie man auftritt, was mitnehmen, wohin nicht gehen usw. sowie Verhaltensregeln, die das Zusammenleben mit ca. 18-25 Personen verschiedener Nationalitäten und Kulturen in einem Haus erleichtern. Das Haus wird geleitet von Marie, einer netten deutschen Kollegin, die schon seit etwa 8 Jahren in Rio lebt.
Danach traf ich Antje zum Kaffee im Cafecito, dem einzigen Café in Santa Teresa, das einen halbwegs ordentlichen Cappuccino macht. Antje ist eine gute Freundin schon seit 2010 und mein direkter Kontakt zum deutschen Konsulat.
Meine Kollegin Vivi ist Chilenin und kümmert sich hauptsächlich um die Platzierung der Volunteers (Vols), d. h., sie begleitet jeden Einzelnen beim ersten Mal zum Projekt und bespricht den Einsatz mit den Projektkoordinatoren vor Ort. Da gehe ich teilweise auch mit, da ich zum einen einige neue Projekte noch kennen lernen muss und mich bei einigen, die ich schon kenne, zurück melde. So waren wir also die ersten beiden Tage der Woche hauptsächlich auf der Straße zu Fuß, mit Bus und Metro unterwegs, was natürlich sehr anstrengend ist, insbesondere, wenn man auch noch in der Anpassungsphase steckt mit Klimawechsel, Hitze, Zeitverschiebung und den kleinen alltäglichen Hindernissen hier und da. Montag Vormittag machten wir einen Rundgang mit den neuen Vols im Zentrum: Bushaltestellen, Bank, Geld abheben und umtauschen, Passkopien machen und ein Kilorestaurant besuchen. Nachmittags waren wir dann im Ballet de Santa Teresa, jene Organisation, bei der ich 2010 als Volunteer Rhythmische Sportgymnastik und Ballett unterrichtet habe. Das war natürlich superschön, dort einige alte FreundInnen wiederzusehen. Vielleicht werde ich auch ab Januar wieder dort unterrichten.
Dienstag lernte ich ein neues Projekt kennen in der Favela „Salgueiro“, einer inzwischen befriedeten Gemeinde. Dort platzierten wir zwei neue Vols in der Kinderkrippe und sie werden dort etwa zwei Wochen bei der Betreuung von 2-4-jährigen Kindern helfen. Außerdem gibt es dort einen Gemeindegarten, wo die Einwohner lernen können, wie man selber einen Obst- und Gemüsegarten anlegt. Am Nachmittag trafen wir uns in unserem Büro mit Karen, die sich um einen Teil der Administration kümmert, um zu besprechen, wie wir drei uns in den nächsten Monaten organisieren. Ich bin sehr froh, dass ich zwei so liebe und hilfreiche Kolleginnen habe, die mir den Neueinstieg hier wirklich sehr erleichtern. Am Ende dieses Nachmittags war ich total platt, müde, konnte kein portugiesisch mehr verstehen geschweige denn sprechen und habe mich um 20.00h ins Bett gelegt und bin erst am nächsten Morgen um 7.30h wieder aufgewacht… Das war nötig.
Mittwoch habe ich mich dann erstmal im Büro orientiert und eingearbeitet, alles ganz in Ruhe, niemand hetzt hier und glücklicherweise ist im Moment auch eher „Low Season“. Unser Chef Felipe hält sich weitestgehend raus, da er genug zu tun hat mit seinem neuen Restaurant, und vertraut uns voll und mischt sich nur bei schwierigen oder speziellen Angelegenheiten ein, wenn wir ihn bitten.
Donnerstag war morgens Büro und dann mittags Platzierung eines Vols in der Organisation movimento de mulheres parque horacio in der Favela Benfica, einer besonders armen, bedürftigen, noch nicht befriedeten Gemeinde. Dort ist das wichtigste Thema Gesundheitsberatung, Aufklärung und Schutz vor Geschlechtskrankheiten und AIDS, hier mehr Info und ein Film: http://ikoporan.org/de/child-mulheres-parque-horacio
Freitags arbeiten wir eigentlich nur das nötigste, da wir ja auch oft am Wochenende unterwegs sind, Orientierungssessions sonntags und regelmäßige Besuche im Haus der Volunteers abends an mehreren Tagen machen. Außerdem muss ich 24/7 in Bereitschaft sein für die Vols, falls es Probleme gibt, da verteilt man die anderen Tage entsprechend und nimmt sich mal einen Nachmittag frei. Gestern traf ich dann am Abend auch eine alte Freundin wieder, Danielle, bei der ich in 2010 auch fast zwei Monate gewohnt habe.
Mein Problemchen der Woche:
Ein neues Zimmer finden. Ich wohne im Zimmer im Hause einer ganz lieben Freundin, Thaís. Aber da sie Hippy Klamotten, Schuhe und Accessoires auf Märkten verkauft, Basare veranstaltet, sind hier im Hause überall, einschließlich in meinem bzw. ihrem Zimmer, Sachen gelagert und habe ich irgendwie das Gefühl, in einem Klamottenladen zu wohnen… Eigentlich schlafe ich deshalb auch nur im Zimmer, wo ich kaum Platz für meine Sachen habe und daher die ganze Woche, bis Thaís am Donnerstag von einer Reise zurück kam, nichts auspacken konnte. Ansonsten ist es ein schönes Haus mit supernetten und herzlichen Mitbewohnern direkt an der Escadaria Selarón, der berühmten mit tausenden von bunten Fliesen belegten Treppe (http://en.wikipedia.org/wiki/Escadaria_Selar%C3%B3n), die genau in unsere Straße mündet. Aber ich habe mir nun ein Zimmer gesucht, in dem ich mich auch aufhalten, wohnen, leben und lieben kann. Das ist etwas teurer, aber auch bei einer Freundin in Santa Teresa, bei der ich schon in 2010 wohnte. Dort ziehe ich am 1. Dezember ein.
Mir geht es gut, auch, wenn ich nach dieser ersten Woche noch sehr müde bin. Ich bin glücklich, wieder hier zu sein und diese Arbeit mit diesen Menschen in dieser Umgebung machen zu können. Rio kann sehr anstrengend sein, manchmal saugt es Dir alle Energie aus, immer gibt es kleine Hindernisse zu überwinden, aber man liebt es, weil es auch so divers, so bunt, so fröhlich und rundherum so wunderschön ist.
Heute, am Samstag, ist es bewölkt und regnerisch und Thaís und ich sitzen in unserer Küche mit Ausblick auf Lapa, der Stadteil unterhalb von Santa Teresa. Gleich werde ich ein paar Einkäufe für die nächste Woche machen und Thaís auf ihrem heutigen Tauschbasar in Lapa besuchen und vielleicht auch endlich nach Ipanema zum Strand fahren…
1000 beijinhos e um grande abraço do Rio de Janeiro!