Nach fast einem Monat ist es mal wieder an der Zeit ein paar Dinge hier zu erzaehlen.
Ja, da war dann der Karneval in Rio.... Ich bin ja in Deutschland keine echte Karnevalsfreundin und bin es auch hier nicht geworden. Es ist schon eine Wahnsinnsstimmung in der ganzen Stadt. Schon Wochen vor der Karnevalswoche finden ueberall sogenannte "Blocos" statt, bei denen auf Plaetzen, an Ecken und mitten auf den Strassen brasilianische Karnevalslieder gesungen und getrommelt werden. Die "Baterias" bestehen aus vielen verschiedenen Schlaginstrumenten und es wird nach den Sambarhythmen gesungen. Meistens sind es selbstgedichtete Lieder der Viertel, in denen der jeweilige Bloco stattfindet. So gab es schon mindestens 4 Wochen vor dem Karneval in Santa Tereza, wo ich zu der Zeit noch wohnte, jeden Freitag einen Bloco vor der "Bar do Gomes". Es wurden Zettel verteilt mit dem Text des Liedes, das dann alle mitsingen und zwar solange, bis alle es auswendig singen koennen, will heissen, dass etwa eine Stunde lang zu den immer gleich schlagenden Sambarhythmen 20 Zeilen Text ungefaehr 376 mal wiederholt werden, am Stueck, und es wird nicht langweilig. Man singt und tanzt einfach weiter........ und das bei immer noch 35 Grad in Nacht.
Ungefaehr genauso spielt es sich ab bei den grossen Umzuegen im "Sambódromo". Die Umzuege der grossen und besten Sambaschulen finden Karnevalssonntag und Rosenmontag statt, beginnen um etwa 20.00h und das geht bis in die fruehen Morgenstunden, etwa 3.00h. Jede Schule praesentiert sich zwischen 60 und 80 Minuten und nach einer kurzen Pause folgt die naechste. Wenn alle durch sind, legt eine Jury einen Sieger fest. Dieses Jahr war der Sieger "Unidos da Tijuca", die eine tolle und sehr fantasievolle und aufregende Show abgeliefert haben. Wir hatten, das Glueck, dass wir sonntags genau diesen Umzug im Sambódromo komplett gesehen haben. Unsere Tickets hatten wir "guenstig" bei einem Kontaktmann unseres Organisationschefs kaufen koennen. In Sektion 13 waren wir mit ca. 342 Millionen Brasilianern, die mit Kindern und Kuehltaschen auf den Raengen gequetscht sassen und nochmal sovielen Touristen, die letzte Station des Umzuges mit guter Sicht auf die praechtigen Kostueme und Szenerie, und wir haben Michael Jackson auferstehen sehen ;)
Nach 3 Stunden bei 35 Grad (Mitternacht), zwei halben und eben einem ganzen Umzug waren wir ziemlich erledigt von dem ganzen Spektakel - aber man muss es ja zumindest mal gesehen haben.
Der Karneval hatte sich fuer mich dann auch erledigt. Die Stadt spielt einfach verrueckt, es ist soooo ueberfuellt, viele bekloppte und ueberdrehte Touristen, aber auch Brasilianer und Diebe und andere kleine Gangster sind unterwegs - aber gerne koennen alle ihren Spass damit haben, ich habe mich fuer ein paar ruhige Tage zu Hause entschieden und habe mich immer ueber die lustigen Kostueme meiner Mitbewohner, die nicht genug kriegen konnten, gefreut. Wenn ich dann mal hier wohne, werde ich wohl zu den Menschen gehoeren, die zum Karneval das Weite suchen und ein bisschen nebenbei verdienen durch die Vermietung ihrer Wohnung an Karnevalstouristen.
Am Wochende nach Karneval bin ich mit einer Freundin, Sara aus New York, nach Búzios gefahren. Das liegt etwa 200 km noerdlich von Rio und gilt als "St. Tropez" von Brasilien, nicht zuletzt, weil auch Brigitte Bardot vor "einigen" Jahren hier Urlaub machte. Wir hatten ein schoenes Zimmer in Brigitta's Pousada direkt am Strand im Zentrum von Búzios gebucht. Will heissen Zimmertuer auf, Fuesse im Sand und 10m weiter im Wasser, wirklich ganz schoen. Es war ein entspanntes Wochenende, die Gegend ist wirklich sehr schoen, aber nochmal werde ich dort nicht hinfahren. Es ist tatsaechlich wie St. Tropez: teuer, extrem touristisch, vollgebaut, die Straende nicht so prickelnd und zum ersten Mal traf ich auf wirklich unfreundliche Brasilianer, zumindest oftmals, wenn man nicht bereit war, den geforderten Preis zu bezahlen. Wir hatten trotzdem eine schoene Zeit, haben unsere schoenen Plaetze zum Schwimmen, Laufen, Sonnen, Essen und Trinken gefunden und auch ein paar wirklich nette Menschen getroffen. In den Seitenstrassen gibt es kleine, unscheinbare Restaurants mit einem kleinen Angebot von "Mama's" gutem Essen fuer ganz wenig Geld, die Einheimischen verraten einem, wo die schoeneren und nicht so kommerziellen Straende sind und vor unserer Zimmertuer war das Schwimmen am fruehen Abend auch sehr schoen. Und ich bin ein bisschen dem grossen Bikiniangebot zum Opfer gefallen... Was uns allerdings niemand verraten hatte, war die Tatsache, dass am 2. Wochenende im Februar die Zeit von Sommer- auf Winterzeit umgestellt wird, also eine Stunde zurueck. Das erfuhren wir dann nebenbei, als wir eine Stunde zu frueh an der Bushaltestelle fuer unseren gebuchten Bus nach Rio standen...
Der Sommer ist also vorbei in Rio, es wird jetzt schon um 18.30/19.00h dunkel. Die Temperaturen beeinflusst das aber nicht wirklich...
Am 23.2. bin ich dann von Santa Tereza nach Ipanema umgezogen. Hier wohne ich jetzt in einem huebschen Zimmer im Apartment von und zusammen mit Danielle im 19. Stockwerk mit Ausblick auf die Favela "Cantagalo". Der Name bedeutet "der Hahn singt (kraeht)", was mir allerdings erst am ersten Morgen zum ersten Mal bewusst wurde, als um etwa 4.00h ungefaehr 183 Haehne abwechselnd und im Kreis kraehten... Abgesehen von den Haehnen, an die man sich gewoehnt, und am Wochenende oft laute "Brasil Funk Parties" ist es relativ ruhig in der Favela. Ein bisschen irritiert war ich, als am 2. Tag drei schwer bewaffnete Polizisten vor unserem Gebaeude standen - das sind aber "nur" Sicherheitsvorkehrungen, da direkt neben uns auch eine Schule und eben auch die Favela ist...
Ipanema ist viel lebendiger als Santa Tereza, es gibt ein besseres Gefuehl von Sicherheit (trotzdem ist immer Vorsicht und Umsicht angesagt) und man hat alles, was man braucht fast vor der Tuer, inklusive Strand :) Da aber leider das Wetter kurz nach meinem Umzug umschlug und es fast jeden Tages in Stroemen gegossen hat, habe ich den Strand erstmal vergessen. Ausserdem habe ich unter dem Wetterumschwung mehr gelitten als erwartet. Nach einem Temperatursturz von ca. 38 - 42 Grad ueber drei Wochen auf etwa 21 - 25 Grad war ich nur noch muede, aber soooo muede, dass ich manchmal dachte, den ganzen Tag schlafen zu muessen. Die Fahrt zu meinem Ballett und Gymnastikprojekt zweimal die Woche in Santa Tereza war eine gefuehlte Tagesreise und dauerte an den Regentagen etwa 2 Stunden mit Metro und Bus. Und einmal davon nur um dann festzustellen, dass die Maedels es vorgezogen hatten, bei dem Regen lieber zu Hause zu bleiben.
Es hat dann also bis letzten Samstag jeden Tag geregnet und manchmal ist der Regen so heftig, dass die Strassen in Minuten ueberflutet sind und man bis zu den Knien im Wasser steht. Fuer die Bewohner der Favelas an den Haengen ist das sehr gefaehrlich, denn es gibt immer wieder Erdrutsche, die die kleinen Haeuschen einfach wegreissen. Manche Menschen muessen dann bei so heftigem Regen ihre Wohnung verlassen und abwarten, ob das zu Hause nach dem Regen noch steht. Zu bleiben kann das Leben kosten.
Ich bin also immer mit Schirm losgezogen und habe gegen Regen und Muedigkeit angekaempft. Ich war schon etwas verzweifelt, denn meine Zeit hier ist ja begrenzt und ich wollte mehr unternehmen, woran mich diese Muedigkeit aber hinderte... Nun habe ich gelernt, dass wir Westeuropaeer es in den ersten Monaten einfach schwer haben, mit diesem Klima zurecht zu kommen, es braucht ein bisschen Zeit und man muss sich ordentlich ernaehren, was bei der Fuelle von leckeren und gesunden Fruechten auch gar nicht so schwer ist. Nun scheint seit einigen Tagen wieder die Sonne, morgens gehe ich oft am Strand laufen. Zwei bis dreimal pro Woche gehe ich zu meinem Gymnastikprojekt in Santa Tereza, nehme dort auch Portugiesischunterricht und treffe nette Menschen auf ein oder zwei Bierchen ("Chopp").
Letzten Samstag war ich mit ein paar Freundinnen im "Floresta da Tijuca", das ist der wiederaufgeforstete Wald in Rio de Janeiro, mitten in der Stadt. Wir waren unter einem frischen Wasserfall duschen und haben ein kleines Picknick gemacht. Nach diesem ersten Sonnentag hat es zwar noch einmal schlimm geregnet, aber der Ausflug hat richtig gutgetan und die Muedigkeit verschwand wieder.
Mit der brasilianischen Mentalitaet und Kultur komme ich ganz gut zurecht. Man muss sich auf einiges einstellen wie das unbestimmte Zeitgefuehl der Brasilianer, lange Wartezeiten z. B. in der Schlange an der Supermarktkasse oder warten auf Busse. Man wartet halt, keiner stresst rum, einen Busfahrplan mit festen Zeiten gibt es nicht. Bis auf die Metrobusse kommen alle Busse ziemlich unregelmaessig, manchmal zwei gleichzeitig oder auch mal eine halbe Stunde keiner. Es ist auch nicht immer ganz klar, wo die Busse langfahren, manchmal bitten Fahrgaeste, um eine andere Ecke zu fahren, was viele Busfahrer dann auch tun, so dass sich die Strecke durchaus auch mal veraendern kann, wenn auch das Ziel dasselbe bleibt. Es gibt aber auch den genervten, ja mitunter ungehaltetenen, fast aggressiven Brasilianer. Das kann dann richtig unangenehm laut werden, so dass man denkt, gleich gibt es eine Keilerei. Meistens endet es aber bei einem Bierchen...
Manche Dinge sind verwirrend, im Supermarkt gibt z. B. manchmal einerseits "fila única" (eine Warteschlange fuer alle Kassen) und dann aber ploetzlich auch gerne mal in zwei Altersklassen unterteilt: bis 50 und dann 50+. Haette eine nette aeltere Dame mich nicht darauf aufmerksam gemacht, haette ich sicher von der jungen Dame, die die Kassen koordinierte, einen boesen Blick bekommen, so wie als ich an der Reihe war, ich nicht nicht gleich zuckte und erst nach 10 Sekunden begriff, dass ich ihr zur freien Kasse folgen sollte, da muss es dann auf einmal fix gehen...
Im allgemeinen sind die Brasilianer meist sehr freundlich, froehlich und ansonsten ganz normale Menschen mit ganz normalen Problemen. Sie nehmen das Leben aber leichter, obwohl es hier oft viel anstrengender ist, als bei uns, eben weil alles viel laenger dauert und es meist an Organisation und Effizienz fehlt. Umweltschutztechnisch muss hier noch viel getan werden, das ist einfach noch nicht so richtig durchgedrungen in die Koepfe, wie man Muell trennt, dass man bei Rauchverbot in Lokalen den Rauchern auch einen Aschenbecher auf die Strasse stellt und sie nicht auffordert, die Kippen doch einfach auf die Strasse zu werfen und dass Wasser ein kostbares Gut ist, das man am Strand nicht einfach stundenlang ungenutzt aus Duschen laufen laesst...
Welch ein Glueck, dass ich hier sein darf, ich bin sehr dankbar. Rio ist wunderschoen, es stresst oft sehr, aber man liebt es. Ich moechte gerne laenger bleiben, dafuer arbeite ich an meinem Netzwerk hier. Ich brauche einen ordentlichen Job, um ordentlich hier leben zu koennen. Und wenn es nicht dieses Jahr ist, dann naechstes. Meine Ballettmaedchen moechte ich auch weiter unterrichten. Es ist oft nicht einfach, die Launen der Kinder sind eine echte Herausforderung, mit normalen Erziehungsmassnahmen kommt man hier nicht weit, oft ist man mit der Geduld kurz vor dem Zerreissen, man ist traurig, denn die Kinder scheinen undankbar. Aber sie sind sehr beduerftig, brauchen Zuwendung und viel Liebe und man darf nicht vergessen, dass sie in sehr schwierigen Verhaeltnissen aufwachsen und sich permanent irgendwie beweisen oder verteidigen oder sich gar selber durchschlagen muessen. Aber sie haben grossen Spass an rhythmischer Sportgymnastik mit den Handgeraeten. Naechste Woche koennen wir noch mehr Geraete kaufen dank der Spenden meiner Freunde in Deutschland - 1000 Dank dafuer :)
Ach ja, und ganz wichtig: Im Maracanã Stadion war ich natuerlich auch schon. Meine Mannschaft ist "Flamengo Rio de Janeiro" - der brasilianische Meister der letzten Saison. Das Spiel gegen Botafogo im Halbfinale um die Taça Guanabara haben sie aber leider verloren. Es war trotzdem ein tolles Erlebnis und ich hoffe, nochmal gehen zu koennen, bevor das Stadion fuer die Renovierung fuer die WM 2014 im Maerz schliesst. Die Stimmung war grossartig, die Fankurven sind viel groesser und lebendiger als bei uns, eigentlich ist das ganze Stadion Fankurve, wenn es voll ist. Viele Brasilianer hoeren nebenbei Taschenradio, wie es in anderen Spielen laeuft, es wird alles moegliche an Snacks und Getraenken die ganze Zeit zwischen den Raengen verkauft, wenn es anfaengt zu regenen, schwingen die Verkaeufer die Regenmaentel-Paeckechen (eigentlich Plastiktueten zum Ueberziehen, laessige Ganzkoerperkondome koennte man auch sagen). Sowas wie Hooligans gibt es hier auch und hier wird auch schnell mal geschossen... Ich war gottseidank auf der anderen Seite des Stadions.
Das soll es fuer heute gewesen sein. Es gibt noch viel mehr zu erzaehlen, aber das verschiebe ich auf einen anderen Tag. Fotots muessen leider auch noch warten.
Beijos!!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen