Montag, 15. Februar 2010
Ballettstunden, die Suche nach Handgeräten und die Reise auf der Tocorimé
Nun sind tatsächlich schon wieder drei Wochen vergangen und wir befinden uns mitten im Karneval in Rio. Die Zeit vergeht so schnell, eigentlich sollten die Tage hier 48 Stunden haben, weil alles viel mehr Zeit braucht. Man wartet eigentlich ständig auf irgendwas: Leute, Busse, Post, Essen... aber ich habe mich daran gewöhnt und das Tempo gefällt mir, weil man eigentlich nie hetzen muss.
Vor drei Wochen hat also mein Ballettprojekt begonnen. Da ich den Mädels auch rhythmische Sportgymnastik vorstellen und ein bisschen beibringen möchte, musste ich mich erstmal auf die Suche nach den Handgeräten Band, Reifen, Seil und Ball machen. So habe ich fast 2 Wochen lang in allen möglichen Stadtteilen Rios die Sportgeschäfte abgeklappert - etwa 25-30 -, den Turn- und Gymnsatikverband angeschrieben, unbeantwortet, was leider auch öfter vorkommt, bis mir jemand bei meinen Recherchen den Tipp gegeben hat, mich an einen größeren Sportclub im Stadtteil Tijuca zu wenden. Da habe ich also angerufen, wurde weiter verwiesen an die Gymnsatikabteilung, dort gab man mir die Tel-Nr. der Trainerin, die mir wiederum die Tel-Nr. der netten Dame gab, die die Handgeräte anscheinend selber baut bzw. eine "geheime Quelle" hat. Noch am selben Tag habe ich mich mit ihr am Sportclub "SESC Tijuca" verabredet, wo ich ihr dann einige Geräte abkaufen konnte. Abgesehen davon, dass ich von einer Tel-Nr. zur nächsten geschickt wurde, waren alle so hilfsbereit und freundlich. Die Tour zum Sportclub hat zwar insgesamt auch nochmal über 3 Stunden gedauert mit Bus und Metro, aber es hat sich gelohnt. Die Geräte habe ich von Lilian bekommen und auch die Trainerin Adriana kennengelernt, die gerade mit ihren Mädels trainierte. Sie hat mich sogar eingeladen als "Gast-Trainerin" mal ein paar Stunden zu übernehmen. Alles wichtige Kontakte für die Zukunft :)
Am nächsten Tag wollte ich dann mit meinen Ballett-Mädels in Santa Teresa loslegen, bin aber dann wegen meiner "verklemmten Schulter" solange beim Arzt hängengeblieben, dass ich es nicht mehr geschafft habe. Da ich ja dann am 7.2. auf die "Tocorimé" gegangen bin, mussten wir alles auf die Woche nach Karneval verschieben, denn in dieser Woche geht hier gar nichts.... außer eben Karneval - und wie.
Ansonsten habe ich die Zeit damit verbracht, die Stadt mit ihren Schönheiten, ihren Menschen, und auch Ecken und Kanten jeden Tag ein bisschen besser kennenzulernen. Mittlerweile kenne ich einige Buslinien, zumindest von wo aus sie wohin gehen, finde ich mich in einigen Stadtteilen schon gut zurecht, kann mich gut verständigen und freue mich über die Freundlichkeit der Menschen im allgemeinen. Die Hitze ist zu ertragen, obwohl man natürlich meist ziemlich müde ist bei 40 Grad am Tag und noch immer 30 Grad in der Nacht, aber das ist mir lieber als bei minus 10 Grad im Schnee zu hocken.
Das Essen schmeckt mir hier auch gut, man kann eigentlich alles haben, was es bei uns auch gibt. Die Brasilianer essen viel und gerne: Fleisch, Hühnchen und dazu immer Reis und Kartoffeln oder Pommes, meist noch die schwarzen Bohnen, die ich nicht so gerne mag. Italienische und asiatische und auch deutsche Restaurants sind sehr beliebt und überall zu finden. Es gibt auch viel fritiertes Häppchenzeug, die sogenannten "Salgados", panierter Teig mit Hühnchen-, Fleisch- oder Fischfüllung, dazu manchmal scharfe Soßen, gerne genommen am frühen Abend zu einem oder zwei "Chopes", superkühles Bier vom Fass, das ich besonders gerne mag, obwohl ich ja ansonsten fast gar keinen Alkohol trinke. Aber abends nach einem heißen Tag zischt das sehr schön ;)
Vergangene Woche war ich dann ja für 6 Tage und Nächte auf der "Tocorimé", einem Segelschiff ganz aus Holz, von Hand am Amazonas einem holländischen alten Segelboot nachgebaut. Das war schon eine Herausforderung mit 22 Leuten auf 22 Metern. Bording war Sonntag, 7.2.2010 mittags. Dann eine kurze Rundführung über und durch das Boot, einige Sicherheitsanweisungen und die Vorstellung der 7-köpfigen Crew inklusive Captain. Allesamt tolle Burschen, mit denen ich am liebsten gleich die Welt umsegeln würde... wäre da nicht diese Übelkeit, die einen doch hin und wieder bei hohem Wellengang überrascht. Aber daran gewöhnt man sich sicher auch. Die Bettenkojen sind schon sehr eng, daher war es toll, dass wir vier von den 6 Nächten an Deck unter freiem Himmel schlafen konnten. Und sooooviele Sterne jede Nacht, die man nur sieht, wenn man in einer dunklen Bucht vor Anker liegt, wie wir es fast jede Nacht taten. Und dann aufwachen bei Sonnenaufgang, ein so schönes Erlebnis.
Die Toiletten- und Duschsituation sind zusammengelegt, will heißen, der Platz auf ca. 50x100cm ist optimal genutzt und man steigt von der Toilette direkt unter die Dusche und kann sich auch auf der Toilette sitzend noch die Hände waschen.
Der Koch hat drei gute Mahlzeiten am Tag geliefert, Wasser, Kaffee, Tee und gekühlte Softdrinks standen immer bereit und bei irgendwelchen Problemchen hatte insbesondere der Gruppen Tourleader Wouter aus Belgien immer eine Lösung. Der Kapitän Michael aus Tschechien glänzte mit souveräner Übersicht über die Gesamtsituation und trockenen Witzchen (die oft keiner wirklich verstand). Dodo, Ciro (beide Brasil) und Julio (Peru) haben sich um alles rund um Segelsetzen und Anker werfen und lichten gekümmert und mussten auch sonst überall mit anpacken, so Julio als jüngster auch mal Kartoffeln schälen oder abspülen...
Das war wirklich alles andere als Luxus oder Komfort und eine größere Herausforderung, so auch z. B. als wir bei einem heftigen Schauersturm feststellten, dass das Boot nicht ganz dicht war... da muss man sich irgendwie mit arrangieren, aber mit vereinten Kräften haben wir für alle einen trockenen Schlafplatz gefunden.
Auch, wenn es mir wegen meiner Schulter und Seekrankheit am ersten Tag ziemlich schlecht ging, habe ich diese Tour doch sehr genossen. Schön, wenn man jeden Morgen einfach ins Wasser einer schönen Bucht hüpfen kann, schön, wenn man sich ohne Motor nur mit Segeln fortbewegt und schön, wenn man jeden Tag an einem anderen schönen Ort aufwacht.
Die Crew war wunderbar, die Gruppe sehr nett und lustig und wir sind alle jeden Tag ein Stück näher zusammengerückt, so dass der Abschied für mich schon wieder tränenreich war.
Wir haben tagsüber Ausflüge gemacht zu wunderschönen Stränden auf Ilha Grande, zu Wasserfällen mit frischem Süßwasser, haben die Eistheke am Pier von Vila do Abrao auf Ilha Grande gestürmt, sind an einem Morgen in der Nähe von Paraty auf 400 Meter durch den Regenwald auf einen Felsen geklettert, was wahnsinnig anstrengend war, sich aber mit wunderschönen Aussichten bezahlt gemacht hat, toll, toll, toll!!!
Am letzten Abend haben wir dann vor unserem Zielhafen in Paraty zum letzten Mal den Anker geworfen und sind mit unserem Beiböötchen zum Pier gefahren, um in der hübschen kleinen Stadt unsere erste brasilianische Karnevalsparade zu erleben. Das war ein Riesenspaß bis in den frühen Morgen.
Wie gesagt, der Abschied war für mich tränenreich und das hat zu tun mit den Menschen, die ich teilweise sehr ins Herz geschlossen habe und sicher auch damit, dass sich das Leben am und auf dem Meer so wunderbar frei anfühlt. Ich bin ziemlich erledigt, gespickt mit schlimmen Moskitobissen, aber sehr erfüllt und glücklich am Samstagabend nach Rio zurückgekehrt und habe erstmal 13 Stunden am Stück geschlafen.
Hier ist der Karneval jetzt in vollem Gange, die Stadt steht Kopf, an allen Ecken finden (schon seit Wochen) "Blocos" statt. Da spielen "Baterias" Sambarhythmen, man tanzt, trinkt, küsst und freut sich des Lebens. Textblätter mit den aktuellen Kanevalsliedern werden verteilt und diese dann so ein bis drei Stunden am Stück immer wieder gesungen.
Gestern Abend war ich mit einigen HausfreundInnen, alles Volunteers in Favelaprojekten, im Sambódromo, wo immer am Karnevalssonntag und -montag die großen Paraden der großen Karnevalsvereine stattfinden. Die Parade eines Klubs dauert etwa 80 Minuten und wir haben 2 angeschaut bis ca. 2.00h morgens. Ein tolles Erlebnis, aber bei der Hitze und sovielen Menschen hält man es auch nicht viel länger aus.
Heute bleibe ich zu Hause, vielleicht morgen nochmal Karneval. Und am nächsten Wochenende fahre ich nach Búzios, einem hübschen Urlaubsort, etwa 200km nördlich von Rio, wo auch Brigitte Bardot schon Urlaub machte und im Meer schwamm...
Und hier sind die neuesten Fotos von der Bootstour:
http://www.facebook.com/album.php?aid=143245&id=567959597&l=d1a79e9d5c
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen